Am frühen Abend komme ich in Florenz an. Drei Wochen Wanderung durch die wilde Natur der Toskana liegen vor mir. Allein. Eine Zeit nur für mich. Nicht meine erste Wanderung, aber meine erste Pilgerfahrt. Ich fühle mich wie der Narr auf der Tarotkarte, der voller Anfängergeist durch die Welt schreitet.
Es ist Frühling, ein warmer Abend. Ich lasse mich durch die Stadt treiben. Mein Rucksack ist während des Fluges verloren gegangen, ich habe nur meine Kamera und eine Regenjacke dabei. Die nächsten Tage wird man ihn in meinem Hotel vorbeibringen. Die nächsten Tage? Ich beschließe mich davon nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, schließlich habe ich extra Zeit für solche Situationen eingeplant. Es ist, wie es ist. Und Florenz ist kein mieser Ort, um ein paar Tage festzuhängen.
Die Stadt ist voller Menschen. Ganze Schulklassen sind unterwegs, mit entsprechendem Lärmpegel. Verständlich, wahrscheinlich standen sie den halben Tag in einer der endlosen Schlange vor dem Dom oder den Uffizien an, regelmäßig ermahnt von ihren Lehrern, sich zu benehmen.
Zuletzt war ich vor knapp dreißig Jahren hier, meine erste Italienreise, da war ich auch noch Schüler. Der Dom steht unverändert dort, wo er auch beim letzten Mal stand. Und davor seit 700 Jahren. Aber für mich ist ein halbes Leben vergangen. Es ist wie im Zug, wenn man merkt, dass nicht der Bahnsteig an einem vorbei gezogen wird, sondern man sich selbst fortbewegt. Genug Memento mori, denke ich und merke den Oberstufenlehrer in mir. Ich lasse mich im Strom der Menschen durch die Gassen treiben, an Palästen, Eiscafés und Pizzerien vorbei bis zum Arno.
Ich liebe es ohne Ziel zu gehen, meiner Intuition zu folgen. Vielleicht werde ich viele Sehenswürdigkeiten nicht sehen, dafür lasse ich mich anziehen von einer Gasse, einem Haus oder was auch immer meinen Geist oder mein Herz gerade berührt. Auch das kann man als eine Form der Achtsamkeit sehen: was finde ich denn eigentlich spannend? Wo zieht es mich hin, wenn es kein Programm, keine Absprachen und keine Verpflichtungen gibt? Jeder Ort, an den wir gelangen, ist die Folge einer Entscheidung, die wir getroffen haben. Wo kommen wir an, wenn unser Herz der Kompass ist?
Manchmal an wunderbaren Orten, machmal in einer Pizzeria und manchmal verlassen wir vielleicht das Hotelzimmer erst gar nicht. Das ist alles in Ordnung. Jetzt stehe ich am Arno, schaue auf die Ponte Vecchio und genieße es, inmitten all dieser Menschen mit mir alleine zu sein.
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Siehe auch: Reisetipps Florenz