Franziskusweg – Ist es schlecht? Ist es gut?

Noch in Florenz gaben meine innig geliebten Wanderschuhe den Geist auf. Einen Tag vor Aufbruch zur Pilgerreise stand ich ohne Schuhe da. Aber war das wirklich schlecht?

Pegasus-Skulptur im Boboli-Garten

Wer weiß?

In einem Dorf in China lebte ein Bauer, der ein Pferd besaß.
Und weil er der einzige Bauer im Dorf war, der ein Pferd hatte, sagten die
Leute im Dorf: „So ein schönes Pferd, hat der ein Glück!“
Aber der Bauer dachte nur: „Wer weiß?!“
Eines Tages brach das Pferd des Bauern aus seiner Koppel aus und lief weg.
Die Leute des Dorfes bedauerten den Bauern und sagten: „Oh, was für ein Unglück!“
Aber der Bauer antwortet nur: „Wer weiß?“
Ein paar Tage später war das Pferd wieder zurückgekommen,
zusammen mit einer wilden Stute aus den Bergen.
Die Leute sagten neidisch: „Was für ein Glück! Nun hat er zwei Pferde!“
Aber der Bauer meinte nur: „Wer weiß?“
Am nächsten Tag stieg der Sohn des Bauern auf das neue Pferd.
Doch er wurde abgeworfen und brach sich das Bein.
Die Leute riefen: „Oh, welch ein Unglück!“
Doch der Bauer blieb ruhig und sagte: „Wer weiß?“
Keine drei Tage später kamen Soldaten in das Dorf,
um die jungen Männer in den Krieg mitzunehmen.
Aber der Sohn des Bauern konnte wegen seines Beines nicht mit.
„Was hat er nur für ein Glück!“, dachten die Leute.
Aber der Bauer dachte nur: „Wer weiß?“

Chinesische Anekdote

Mein Rucksack war noch immer nicht am Flughafen aufgetaucht. Ich nutze die Zeit und ließ mich durch Florenz treiben. Am Dom mit der ewigen Warteschlange vorbei, an den Uffizien entlang über die Ponte Vecchio bis zum riesigen Palazzo Pitti südlich des Arno, wo ich mich auf dem eher tristen Platz ausruhte. Eigentlich wollte ich dann weiter in den prächtigen und weitläufigen Boboli-Garten mit der Medici-Grotte direkt dahinter, aber irgend etwas stimmte nicht.

Meine Füße schienen träge mit dem Boden verbunden zu sein, jeder Schritt fühlte sich irgendwie zäh an. Es dauerte eine Weile bis ich merkte, dass sich die Sohlen von den Schuhen gelöst hatten und nur noch lose an der Spitze hingen. Ich stakste noch etwas weiter ungläubig über den Platz und hatte das Gefühl, wie Charlie Chaplin zu watscheln, der sich ein Kotelett als Sohle unter die Schuhe gebunden hatte. Ich war mir sicher, dass jeder Tourist auf diesem Platz zu mir herüber sah und mich lächerlich fand. Wo kam das Gefühl denn jetzt her?

Ausgerechnet jetzt fielen meine Schuhe auseinander! Kurz bevor es los gehen sollte auf den Franziskusweg, um achtsam durch die Wälder zu wandern. So ein Mist! Gut, die Schuhe waren schon ein paar Jahre alt, aber kein Grund so radikal zu zerbröseln. Das machte mich traurig, schließlich hatte ich doch soviel erlebt in diesen Schuhen. Warum traurig? Hielt ich mich vielleicht gerade selbst für meine Schuhe? Und war ich nicht eigentlich traurig darüber, dass ich Auseinanderfallen könnte? Kurz vor dem großen Aufbruch einfach kaputt zu gehen?

Wie auch immer, es half mir gerade überhaupt nicht, über ein mögliches, tragisches Ende als Schuh zu trauern. Wo bekam ich nun ein neues paar Wanderschuhe her? Schuhgeschäfte gab es hier zwar ohne Ende, aber mit feinen italienischen Lederslippern konnte ich nichts anfangen. Ich suchte im Handy nach Outdoor-Läden, Wanderschuhen und Florenz, fand aber nichts, gar nichts. Ich wollte unbedingt diesen Pilgerweg gehen. Jetzt kam noch Panik dazu.

Also erst einmal durchatmen. Ich schloss die Augen, atmete in den Bauch und spürte in meinen Körper hinein. Ich nahm die Angst wahr, dass ich vielleicht die Wanderung nicht machen konnte. Und ich war wütend darüber, aber Panik war das sicher nicht. Langsam beruhigte ich mich wieder. Ich war in Italien und hatte drei Wochen Zeit. Da gibt es wirklich schlimmeres.

Ich öffnete die Augen und sah mir die Geschäfte in der Straße genauer an. Und tatsächlich stand ich vor einem Schuhladen, der nicht nur die üblichen modischen Schuhe im Schaufenster hatte, sondern auch ein paar Wanderschuhe. Keine wirklich tollen Schuhe, aber auf jeden Fall brauchbar. Gleich das erste Paar passte, genau meine Größe. Andere gab es nicht. Ich bedankte mich bei meinen alten Schuhen für all die treu geleisteten Kilometer und ging kurz darauf mit meinen neuen Schuhen durch die Straßen der Stadt. Solange ich noch in Florenz war, fand ich keinen zweiten Laden, wo ich solche Schuhe hätte kaufen können!

War es also schlecht gewesen, dass mein Rucksack erst zwei Tage später wieder auftauchte? Und das meine Schuhe gleich am zweiten Tag kaputt gegangen sind? Sonst wären sie mir mitten auf der Wanderung auseinander gefallen, vielleicht am Berg, und das wäre dann wirklich gefährlich geworden.

Am Abend bedankte ich mich beim Universum für meine neuen Schuhe, die ich mir normalerweise nie gekauft hätte, weil ja keine „richtigen“ Wanderschuhe. Die nächsten drei Wochen sollten sie mir gute Dienste leisten – wenn auch zum Preis von ein paar wirklich miesen Blasen. Ich fühlte mich behütet und beschützt – ein Gefühl, welches mich während der gesamten Reise begleitete. Mehrfach war ich auf Hilfe angewiesen, die mir dann wie aus dem Nichts zuteil wurde. Ja, das macht schon demütig.

Dann war es also gut, dass mein Rucksack trödelte und meine Schuhe kaputt gegangen sind? Wer weiß…


Vorheriger Beitrag: Franziskusweg – Anfang in Florenz
Siehe auch: Reisetipps Florenz

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert