Franziskusweg – Wanderst du noch oder pilgerst du schon?

Die erste Etappe auf dem Franziskusweg führt vom kleinen Ort St. Ellero nach Passo della Consuma auf über 1000 Meter Höhe und fordert so gleich am ersten Tag den Wanderer heraus. Oder den Pilger?

Feldweg bei Fontisterni

Früh um halb acht verlasse ich Florenz mit dem Zug, um in St. Ellero meine Wanderung zu beginnen, eine verschlafene Bahnstation mit einem Olivenbaum im kleinen Gärtchen. Mit mir steigen eine handvoll Menschen aus, Rucksäcke, Wanderstöcke, offensichtlich auch Pilger. Mich überkommt ein peinliches Gefühl, eine sonderbare Scham. Werde ich nun zum Wander-Rentner mutieren? Ein Sinn-Sucher, der nach verspäteter Midlife-Crisis nun sein Heil auf gut ausgeschilderten Wanderwegen und in überfüllten Schlafsälen sucht? Bin ich ein ältender Mann, der sich seine Fitness beweisen will und auf gelegentliche Gespräche mit Gott spekuliert? Fliehe ich gerade ganz einfach vor den Anforderungen, die das Leben an mich stellt?

Ich atme tief durch. Meine Güte, was für eine Motzstimme in meinem Kopf! Es ist ein wunderschöner Frühlingstag Anfang Mai in Italien, Rucksack ist gepackt, neue Wanderschuhe an den Füßen, Pausenbrote sind auch dabei. Vor mir liegen drei Wochen Wanderung durch Norditalien bis nach Assisi. Drei Wochen nur für mich, neue Erfahrungen, neue Begegnungen. Ein Traum, der seine Wurzeln viele Jahre zuvor hat, als ich mit dem Auto durch die Ebene an Assisi vorbei gefahren bin und mich sonderbar angezogen fühlte von dieser Stadt. Und den ich mir jetzt erfülle. Weil ich Bock drauf habe! Dieser kleine knittrige Miesmacher hat nun seine Meinung kund getan, fein. Es reicht, ich geh jetzt los!

„Pilgern ist nicht Wandern“ heißt es. Aber was macht dieses Wandern-Plus aus? Die religiöse/spirituelle Ausrichtung? Ein Offen-Sein auf Kanälen, die wir im Alltag oder bei „normalen Wanderungen“ nicht bedienen? Hoffnung auf Klärung in Lebenskrisen, Antworten finden? Tatsächlich waren viele Pilger, mit denen ich unterwegs gesprochen habe, nicht aus religiösen, christlichen Motiven unterwegs. Sondern eher mit einer spirituellen Vorstellung, vage, undefiniert, aber irgendwie da. Immerhin so konkret, dass es die Menschen dazu bewegt hat, sich auf diesen teilweise herausfordernden Weg zu machen. Mehr braucht es auch nicht, das ist ja der Geist des Anfängers.


Man kann natürlich auch von Florenz aus zu Fuß nach St. Ellero gehen. Allerdings folgt einem schönen Gang durch die Straßen der Stadt und am Arno entlang ein kilometerlanger Weg an einer Schnellstraße entlang.


Die nächsten Stunden wanderte ich durch eine traumhafte Landschaft, durch blühende Wiesen, durch Feldern, an alten Bauernhöfen und Kirchen vorbei. Die Sonne schien, aber es war nicht zu heiß. Ich ging in meinem Tempo, wurde von anderen überholt, war schließlich der Letzte. Und absolut entspannt. Ein Traum!

Das änderte sich allerdings, als der steile Teil der Strecke begann. Einer der steilsten und längsten Anstiege auf dem ganzen Weg, gleich am ersten Tag. Schritt für Schritt bergan, stundenlang. Trotz einiger Pausen schwanden mir zusehens die Kräfte. Ausserdem hatte ich meinen Wasservorrat etwas knapp kalkuliert und musste haushalten. Die Landschaft war noch immer wunderschön, langsam brach die Abenddämmerung an, aber ich war inzwischen einfach platt. Zudem plagten mich starke Knieschmerzen, die letzten tausend Meter bis zum Hotel am Passo della Consuma habe ich kaum noch geschafft. Die Treppe im Hotel in den ersten Stock stellte mich noch einmal auf eine harte Probe. So würde ich den Rest der Strecke niemals schaffen! Und wieder musste ich den Miesmacher, nun etwas ängstlich, beruhigen. Ich war ja da, oder? Morgen würde ich weitersehen.

Zusammen mit einem Pilger aus Österreich aß ich in dem großen Speisesaal zu Abend, in den siebziger Jahren war das Hotel mal eine große Nummer gewesen – das ist eine Weile her. Nun verströmte es den Charme eines Ostblockhotels. Den Österreicher traf ich die nächsten Tage immer wieder, häufig hatten wir die gleiche Herberge, trafen uns unterwegs, dann nicht wieder. An diesem Abend unterhielten wir uns über Lebensentwürfe, Familiengeheimnisse und tiefe Ängste. Ich denke es ist egal, ob man es nun Wandern oder Pilgern nennt, es war schön diese Offenheit im Gespräch über Themen zu spüren, die uns wirklich berühren. Wir sind nur da Fremde, wo es nicht um die Seele geht.

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